Fair und nachhaltig zu Fuß: Über die fehlende Transparenz in der Schuhbranche

Dass Ethik bei der Auswahl der eigenen Bekleidung eine große Rolle spielen sollte, wissen meine Leser bereits seit Januar 2013. Damals hatte ich dargelegt, wie kompliziert es mitunter sein kann, alle Eventualitäten nachhaltiger und fairer Produktion abzuwägen. Aber immerhin konnte ich auf die existierenden Zertifizierungen durch GOTS und Fair Wear Foundation verweisen.

Vor kurzem kam ich in die Situation, diese Überlegungen auch beim Schuhkauf anwenden zu müssen (mein letzter Schuhkauf lag Jahre zurück). Dabei musste ich leider feststellen, dass in der Schuhindustrie einfach keine vergleichbaren Zertifikate für nachhaltige und faire Produktion existieren. Auf gerade mal einen Fairtrade-zertifizierten Schuhhersteller stieß ich bei meinen Recherchen: Ethletic. Ethletic ist die einzige TransFair-zertifizierte Schuhmarke und die produziert nur Textil-Sneaker. Mehr als die klassischen Sneaker im Chuck-Design stellt Ethletic allerdings nicht her. Es sei mal dahingestellt, wie nachhaltig dieses "Wegwerfdesign" wirklich ist. Und durch einen verregneten Winter komme ich damit sicherlich auch nicht.

Also doch einfach irgendwas kaufen? Ein entschiedenes Nein! Angesichts zahlreicher haarsträubender Berichte aus der Lederindustrie darf man diese Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen: Bei der Gerbung mittels Chromsalzen, die heute bei über 80 Prozent der Ledererzeugnisse eingesetzt werden, fallen gesundheits- und umweltschädigende Abfallprodukte an. Und dieses schmutzige Geschäft wird - wie sollte es sonst sein - immer mehr in Schwellen- und Entwicklungsländer abgeschoben.[1][2][3] Chromgerbung innnerhalb der EU gilt heute dagegen aufgrund zahlreicher strenger Auflagen als unbedenklich.[4]

Die Herkunft des Leders liegt oft im Dunkeln

Es reicht also nicht, den eigentlichen Produktionsstandort kritisch zu beäugen. Birkenstock mag in Deutschland produzieren, aber wo das Leder herkommt und unter welchen Bedingungen es gewonnen und gegerbt wurde, steht auf einem ganz anderen Blatt.[5] Der Schuhproduzent Jomos aus dem oberfränkischen Selbitz etwa gab am Telefon bereitwillig Auskunft darüber, dass die Hälfte der Lederwaren aus Brasilien, die andere Hälfte aus Indien stamme. Es hieß, die brasilianischen Lederproduzenten kenne man genau, man könne im Zweifel sehr detaillierte Angaben zu Arbeitsbedingungen und Qualität machen. Beim indischen Einkauf kenne man dagegen nur den Zwischenhändler. Natürlich würden regelmäßig Qualitätskontrollen durchgeführt und das Leder bewege sich "im gesetzlichen Rahmen", aber über die weitere Herkunft wisse man praktisch gar nichts. "Die Hälfte unseres Leders stammt aus Indien. Über den Zwischenhändler hinaus wissen wir allerdings nichts." Dass Jomos dabei immer auf seine urdeutsche Produktionsstätten pocht und Nachhaltigkeit als Unternehmensstrategie propagiert, erhält angesichts dieser Zustände einen bitteren Beigeschmack.

Außerdem gibt es sowieso kaum Länder auf der Welt, denen in puncto Arbeitsbedingungen pauschal zu trauen wäre. Als "Low Risk" stuft die Risikoberatung Maplecroft solche Länder ein. Dazu gehören neben den skandinavischen und deutschsprachigen Ländern nur noch Kanada, Irland und Australien. Etwa bei Italien, Frankreich oder den USA sei bereits eine gewisse Skepsis angebracht.

Also bleibt noch die Möglichkeit, direkt auf schonendere Herstellungsprozesse wie das vegetabile Gerben "ohne Chemie"[6] auszuweichen. Das Frankfurter Label ekn footwear schwört auf dieses chromfreie Verfahren. Produziert wird in Portugal und sie "versuchen alle Zutaten sofern es möglich ist in der Region um Porto zu beziehen"[7]. Hoffentlich bleibt es nicht beim bloßen Versuch. Denn auch wenn das Gerbverfahren noch so schonend ist, bleibt Leder ein heikler Rohstoff. Laut Greenpeace ist die brasilianische Viehwirtschaft für 80 Prozent der Urwaldvernichtung verantwortlich.

Auf vegetabil gegerbtes Leder setzt auch die schwedische Marke KAVAT, die in Bosnien und Herzegowina und neuerdings auch wieder in Schweden produziert. KAVAT trägt mit Stolz das EU Ecolabel. Das ist lobenswert, aber über die Herkunft des Leders oder die Arbeitsbedingungen in den Fabriken sagt das leider noch nichts aus.[8] An anderer Stelle findet man Hinweise darauf, dass das Leder "in Europa" produziert wird. Wenn man sich mit einer vollständig nachverfolgbaren Lieferkette ("from cow to shoe") brüstet, sollten genauere Informationen über die Herkunft des Leders etwas leichter verfügbar sein, finde ich. Einen Code of Conduct von KAVAT konnte ich nicht finden.

Vielleicht muss es nicht immer Leder sein

Der Verzicht auf Leder ist natürlich vor allem ein Ausdruck veganer Lebenseinstellung oder zumindest ein Protest gegen Massentierhaltung. Da Leder allerdings ein Abfallprodukt der Fleischwirtschaft ist und Tiere (abgesehen von Krokodilen) niemals lediglich zur Ledererzeugung gezüchtet und geschlachtet werden, scheint sich zumindest das letzte Argument in purem Idealismus zu verlieren.

Dennoch stellt lederfreies Schuhwerk angesichts der oben erläuterten Probleme mit der Lederindustrie einen Hoffnungsträger dar. Produziert wird der vegane Schuh in der Regel in Industrieländern wie Italien, Portugal, Spanien oder den USA und selten lassen sich die Labels dieser Szene nehmen, auf menschliche und faire Arbeitsbedingungen in ihren Produktionsstätten hinzuweisen. Die Schuhe bestehen aus Stoffen aller Art, recycelten Kunststoffen, "natürlichem" Gummi, Kork oder nicht weiter spezifizierten Mikrofasern. Woher hier das Rohmaterial stammt und unter welchen Bedingungen da die Produktion abläuft, schreiben die Hersteller leider selten. Aber es besteht die Hoffnung, dass diese Industrie noch nicht so ausgebeutet ist wie die Lederindustrie. Leider findet man bei den veganen Modellen kaum Informationen darüber, welche qualitativen Eigenschaften (etwa Wasserdichtigkeit) sie wirklich haben. Die meisten Hersteller haben sogar explizit einen Schwerpunkt bei sicherlich nicht wasserdichten und weniger langlebigen Stoff-Sneakers.

Auf der anderen Seite ist und bleibt Kunstleder am Ende Plastik und wird in den wenigsten Fällen mit einem besonders vorbildlichen ökologischen Fußabdruck glänzen können. Zwar dient zumindestens teilweise Recyceltes als Ausgangsmaterial und ein Hersteller hält seine Schuhe sogar für komplett kompostierbar. Aber gegen die Lebensdauer von hochwertigen Lederschuhen, die oft weit über 10 Jahre beträgt, werden (Kunst-)Stoffschuhe wohl kaum ankommen. Und das schlägt sich in einer Nachhaltigkeitsbilanz nieder.

Den Überblick behalten

Wie eingangs erwähnt ist es mangels etablierter Zertifizierungen ein mühsames Geschäft, im Alleingang Informationen über die Nachhaltigkeit und Fairness eines Schuhherstellers zu recherchieren. Das oben angeführte Beispiel von Jomos zeigt, dass der erste Eindruck durchaus täuschen kann. Dasselbe gilt auch für das Traditionsunternehmen Meindl, das zwar "mit richtiger Produktion am Standort Deutschland" wirbt und auf eine "jahrhundertealte handwerkliche Tradition" verweist, dabei aber völlig verschweigt, dass die Meindl-Produktion inzwischen auch in Slowenien, Ungarn und sogar China stattfindet.[9] Wo das Leder herkommt, ist damit noch gar nicht geklärt. Lediglich bei 16 Modellen der Linie "Meindl Identity" ist überhaupt ein Herkunftsnachweis möglich.

Demgegenüber beharren LOWA[10] und Hanwag auf einer rein europäischen Wertschöpfungskette. Damit folgt zumindest Hanwag auch der Linie seines Mutterkonzerns Fenix Outdoor. (Über die Einstellung der Tecnica Group, die LOWA übergeordnet ist, konnte ich leider keine Informationen finden.) Dass europäische Produktionsstätten nicht immer automatisch astreine Arbeitsbedingungen garantieren, deutet aber nicht nur die oben zitierte Einstufung durch Maplecroft an: Ausbeuterei gibt es so gut wie überall.[11]

Die Josef Seibel Schuhfabrik hat diese Selbstbeweihräucherung gar nicht nötig. Der Name taucht wie von Geisterhand in einschlägigen Listen zum Thema Öko und Nachhaltigkeit auf.[12][13][14] Ob Josef Seibel das verdient hat, wollte ich wissen und rief kurzer Hand dort an. Über die Herkunft des verwendeten Leders konnte mir aber keine der Mitarbeiterinnen Auskunft geben. Stattdessen verwies man mich an einen Herrn Kern. Tagelang rief ich dort an, um immer wieder zu erfahren, dieser Herr Kern sei momentan nicht am Platz.

Die Marke El Naturalista identifiziert sich förmlich auf ganzer Linie mit Nachhaltigkeit und Sozialverantwortung. Deren 65-seitiger Nachhaltigkeitsbericht wurde auf rankabrand.de aber nach Strich und Faden auseinandergenommen. Es gebe zwar einen Code of Conduct, der decke aber nur wenige ausgewählte Themen der ILO Konventionen ab. Und selbst in ökologischen Gesichtspunkten muss sich das spanische Label gefallen lassen, dass Giganten wie Timberland und Converse bessere Wertungen erhalten.

Gibt es also überhaupt noch Schuhe aus unbedenklicher Wertschöpfungskette? Vielleicht schon: Mit stolzem Nachdruck wies mich eine Mitarbeiterin des Schuhherstellers Trabert aus dem bayrischen Ostheim vor der Rhön darauf hin, dass die Produktion ihrer Schuhe ausschließlich von Hand in der firmeneigenen Produktionsstätte in Unterfranken stattfinde. Man kenne außerdem alle Lederlieferanten genau und verwende nur hochwertiges Leder aus Deutschland und Europa. Chromgegerbt sei das dann zwar größtenteils schon, aber man kenne ja seine Zulieferer und es befinde sich alles im gesetzlichen Rahmen.

Der einzige von der WFTO (World Fair Trade Organization) höchstpersönlich ausgezeichnete Schuhproduzent ist übrigens Sole Rebels. So sympathisch mir die äthiopischen Schuhe sein mögen, sie machen beim besten Willen nicht den Eindruck, als seien sie für den mitteleuropäischen Winter geeignet. Und dass man teilweise weniger als 50 Euro für ein vollwertiges Paar Schuhe möchte (Vertrieb durch Amazon höchstpersönlich), wirkt auch nicht gerade vertrauenserweckend.

Mit SAWA, Piola, Po-Zu und VEJA konnte ich letztendlich weitere Hersteller finden, die aufgrund ihrer nachhaltigen und fairen Unternehmenspolitik eine Erwähnung an dieser Stelle verdient haben. Halbwegs wetterfeste Schuhe für die Wintersaison hat aber leider keiner dieser Hersteller im Programm.

Update vom 20.08.2016: Eine besondere Erwähnung an dieser Stelle hat sicherlich das Unternehmen GEA verdient, das seit vielen Jahren im österreichischen Dörfchen Schrems eine Schuhwerkstatt betreibt. Die dort hergestellten Schuhe sind unter dem Namen Waldviertler inzwischen auch in Deutschland Kult. So sehr die Waldviertler ihre Umweltverträglichkeit betonen, so intransparent bleibt ihre Lieferkette leider auf den ersten Blick. Erst nach mühsamer Recherche lassen sich genauere Informationen über die (offenbar tadellose) Herkunft des Leders und anderer Schuhbestandteile in Erfahrung bringen.[15] Der Anspruch, ein und dasselbe Paar Schuhe jahrzehntelang (!) tragen zu können, zeugt natürlich von einem ganz eigenen und zugegebenermaßen recht bestechenden Verständnis von Umweltverträglichkeit.

Hersteller, bei denen man von einer nachhaltigen und fairen Wertschöpfungskette sprechen kann, ohne rot zu werden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

Ethletic | Artisan Crafted in Ethiopia
soleRebels | WFTO Fair Trade Footwear
Piola | Sustainable Sneakers
SAWA | Made in Africa
Po-Zu | Sustainable Footwear
Veja Sneakers
OAT Shoes | Shoes that bloom
KAVAT | Kumla Sweden 1945

... zusätzlich mit Produktionsstätte Deutschland/Österreich:
LOWA Sportschuhe GmbH (Jetzendorf)
HANWAG GmbH (Vierkirchen-Pasenbach)
TRABERT-Schuhe GmbH (Ostheim v. d. Rhön)
Finncomfort - Der Schuh zum Wohlfühlen (Haßfurt)
Waldviertler (Schrems, Österreich)

... zusätzlich Spezialisierung auf vegane Schuhe:
nae | no animal exploitation
Wills Vegan Shoes
Noah | Italian Vegan Shoes

  1. eco-world.de/servic...rchiv/2732/index.html
  2. zeit.de/2011/18/GL-Lederherstellung
  3. zdf.de/37-grad/gift...arrmann-29878404.html
  4. ksta.de/ratgeber/ge...5189524,16250452.html
  5. derstandard.at/1332...n-der-Lederproduktion
  6. tovotu.de/blog/386-Dysphemismus-chemisch
  7. ekinfootwear.de/about
  8. ec.europa.eu/enviro...ocuments/footwear.pdf
  9. handelsblatt.com/un...r-boom/5894612-2.html
  10. LOWA gab auf Anfrage sehr bereitwillig Auskunft über Produktionsstätten (Deutschland, Slowakei, Italien), Schadstoffe und Herkunft des Leders (Europa).
  11. tagesspiegel.de/wir...chwindel/3682236.html
  12. nachhaltigleben.de/...ibel-schuhfabrik-gmbh
  13. cobajo.de/schuhe.html
  14. die-welt-der-schuhe...schuhe/bioschuhe.aspx
  15. bewusstkaufen.at/ak...reichische-schuh.html
13. November 2014 - Tags: Verbraucher Produkte Gesundheit