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19. Mai 2009
Certamen Ciceronianum Arpinas XXIX

In einem italienischen Städtchen namens Arpino - 113 km von Rom - haben sich über 800 Menschen auf einem kleinen Marktplatz versammelt. Alle Blicke sind gebannt auf eine Bühne gerichtet. Der Redner nennt nach einigen italienischen Worten nacheinander ein Land, eine Stadt, eine Schule und einen Namen und die Menge applaudiert euphorisch. Eine strahlende Person in ihren besten Jahren springt auf und läuft Richtung Bühne. Auf halber Strecke wird sie von zwei hübschen Damen an den Händen genommen und die letzten Meter bis zum Bühnenaufgang begleitet, der von zwei authentischen, römisch-antiken Soldaten bewacht wird. Von allen Seiten werden Gratulationsrufe laut und auf der Bühne gibt es Umarmungen und ein Photoshooting ...

Das war ein Eindruck von der Preisverleihung des 29. Cicero-Lateinwettbewerbs am vergangenen Sonntag in Arpino, an dem 565 Schüler aus 15 europäischen Ländern teilnahmen. Veranstalter des seit 1980 jährlich stattfindenden Wettbewerbs ist die Stadt Arpino in Gedenken an den römisch-antiken Redner, Politiker und Philosophen Marcus Tullius Cicero.
Zu dem Wettbewerb sind zwar Schüler aller Nationen eingeladen. Doch natürlich kommen die allermeisten Teilnehmer aus dem austragenden Land Italien. Außerdem ist auch Deutschland immer sehr stark vertreten.

Der Wettbewerb umfasst die Übersetzung eines "ciceronianischen" (Adj. zu Cicero) Textauszuges von ca. 300 Wörtern aus dem Lateinischen in die Muttersprache mit anschließendem freien Kommentar. Dafür haben die Schülerinnen und Schüler fünf volle Zeitstunden und ihr Wörterbuch zur Verfügung.
Bei der Korrektur werden zunächst alle Arbeiten kategorisch aussortiert, die in Bezug auf die Übersetzung nicht komplett fehlerfrei sind. Unter den gewöhnlich extrem wenigen verbliebenen stimmt dann eine Jury unter Berücksichtigung der Kommentare über eine Rangliste der besten zehn Arbeiten ab. Die restlichen Teilnehmer mit richtigen Übersetzungen bekommen Sonderpreise.
Bei den dottierten (Sonder-)Preisen handelt es sich neben den Urkunden primär um mit der Platzierung ansteigende Geldbeträge zwischen 160 und 1100 Euro.

Natürlich schreibe ich diesen Artikel, weil ich selbst an dem Wettbewerb teilgenommen habe: Ich war am Donnerstagabend dabei, als in einem unbeschreiblichen Organisationschaos die Hotelzimmer der Hotels rund um die Provinzhauptstadt Frosinone auf die Teilnehmer verteilt wurden; dabei war ich auch beim Wettbewerb am Freitag selbst, der alle Teilnehmer dazu nötigte, um 6 Uhr aufzustehen, damit um 8.30 Uhr am Austragungsort pünktlich begonnen werden konnte; und ich war natürlich ebenso Sonntag dabei, als unter großem Jubel am Martkplatz von Arpino die glücklichen Sieger gekürt wurden.

Im Großen und Ganzen herrschte eine entspannte Atmosphäre. Die drei Tage, über die sich das Programm erstreckte, enthielten ja gerade mal fünf Stunden Wettbewerb. Die restliche Zeit war zwar auch mit Programm gefüllt: Besuch der regionalen Sehenswürdigkeiten, Ansprache durch den Abt von Monte Cassino, Party und natürlich die Hauptmahlzeiten. Trotzdem konnte man sich im Rahmen dessen recht frei bewegen und mit den anderen Teilnehmern plaudern, Spaß haben oder einfach den Moment genießen.
Die komplette Organisation war sehr chaotisch und Informationsmaterial und Vorträge waren komplett auf Italienisch, was ein Drittel der Teilnehmer natürlich gar nicht verstand. Das Essen vermochte nicht gerade zu überwältigen und repräsentierte sicher nicht das Beste, was Italien zu bieten hat. Auch die Unterkünfte konnte man nicht gerade als Luxus-Suiten bezeichnen. Aber all diese Mängel wiegen sich mehr oder minder mit der Tatsache auf, dass die Organisatoren mit 565 Studenten zuzüglich der begleitenden Lehrkräfte eine kaum überschaubare Menschenmenge zu versorgen hatten.

Schade war, dass wir uns selber um die Anreise nicht näher gekümmert hatten. Denn indem wir uns blauäugig einer Gruppe von über 60 Zugfahrern aus allen Himmelsrichtungen anschlossen, lief die Reise auf abenteuerliche 2x24 Stunden Fahrtzeit hinaus. Davon verbrachten wir jeweils die Hälfte im Nachtzug nach Rom, ein Drittel mit dem Transfer zwischen München und Fulda und den Rest beim Aufenthalt in München.
So hatten wir dann zwar auch noch ein paar wenige Stunden Aufenthalt in der großartigen Hauptstadt Italiens: Rom. Dennoch stellte sich die Reise natürlich als große körperliche und psychische Belastung heraus. Dass es auch anders gegangen wäre, sahen wir dann an vielen Anderen, die die Reise mit dem Flugzeug angetreten hatten: Häufig hatten die den Wettbewerb kurzer Hand noch mit ein paar weiteren Tagen Urlaub in Rom verbunden ...

Über den Wettbewerb an sich seien noch ein paar Details verraten, die vor allem für zukünftige potentielle Teilnehmer interessant sein dürften: Die fünf Stunden sind ziemlich anstrengend, übersteigen aber den zeitlichen Umfang einer Abitur-Leistungskursklausur nicht wesentlich. Was das LK-Abi-Pensum aber deutlich übersteigt, ist der Anspruch der zu erbringenden Leistung: Hier gilt es, einen Text von ca. 300 (in meinem Fall 340) Wörtern zu übersetzen; das ist fast doppelt so viel wie eine herkömmliche Abi-LK-Arbeit. Immerhin darf ein umfangreiches Wörterbuch benutzt werden.
Über den gegebenen Textauszug wird keine einzige Information bekannt gegeben außer, dass er von Cicero ist. Es gibt keine Arbeitsaufträge oder Zusatzmaterialien zur Orientierung für den anschließenden Kommentar. Der Kommentar selbst ist aber auffällig unwichtig: Gerät einem auch nur ein einziger Fehler in die Übersetzung, wird die Korrektur gnadenlos abgebrochen - der Kommentar wird dann nicht mehr gelesen, geschweige denn bewertet.
Weder die Preisträger, noch die übrigen Teilnehmer erhalten ihre Arbeiten zurück. Nur die Arbeit des ersten Siegers wird veröffentlicht.
Seit Jahren dominieren die Italiener fast traditionsgemäß die Siegerplätze. Es gab in 29 Jahren nur 5 erste Plätze, die nicht von italienischen Schülern besetzt wurden. Es scheint übrigens fast so, als seien Mädchen in der Überzahl.

Sollte jemand noch weitere Fragen zu dem Wettbewerb haben, kann er sich gerne an mich wenden. Das geht - wie immer - über einen Kommentar oder über das Kontaktformular (im Navigationsmenü). Außerdem hilft auch die Webseite des Wettbewerbs weiter [1] - vor allem, wenn man italienisch versteht. Dort wurden die aktuellsten Infos über die Veranstaltung dieses Jahr geradezu in Echtzeit im Internet veröffentlicht. Die Siegerehrung wurde sogar mit Bild und Ton gestreamt.

  1. certamenciceronianum.it

Kommentare

Administrator 24. Mai 2009

Alle, deren Übersetzungen den Kriterien der Korrekteure vollständig entsprachen, wurden so geehrt wie die "strahlende Person" am Anfang meines Artikels. Das waren dieses Jahr 15 Leute: 5 Sonderpreisträger und 10 Sieger.
Wie ich dabei abgeschnitten habe, wollte ich eigentlich nicht zum Bestandteil des Artikels machen. Aber indem ich verrate, dass ich zehnter geworden bin, sehen meine Leser und die zukünftigen Teilnehmer vielleicht, dass es immerhin menschlich möglich ist, eine fehlerfreie Übersetzung hinzulegen 😉

Nochmal 21. Mai 2009

Oder warst du etwa die strahlende Person, die am Anfang erwaehnt wird? Das waere ja mal hammergeil 😉

Nils 21. Mai 2009

Hi Thomas,
ist ja schon mal fett so weit zu kommen, Gratulation!! Aber wenn ich mich nicht verlesen habe, schreibst du in dem Text nicht, wie du so abgeschnitten hast, oder? Hast du es in die 2. Runde gepackt(fehlerfreie Uebersetzung) ?
Gruss
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