14. April 2010
China zum Dritten - Überblick, Vergleich und Fazit
Eckdaten und Besonderheiten
Als im Sommer 2009 eine Gruppe chinesischer Schüler aus Ningbo die Rabanus-Maurus-Schule Fulda besuchte, musste ich leider ablehnen einem dieser Schüler in meinem Heim eine Unterkunft zu bieten. Inzwischen weiß ich, dass genug Austauschpartner vorhanden waren, sodass meine Kapazität ohnehin nicht benötigt worden wäre.
Nicht jeder Deutsche, der damals einen Gast aufgenommen hatte, wollte allerdings am diesjährigen Gegenbesuch teilnehmen. Mancheiner hatte nicht genug Geld, andere waren zu jung und vielleicht hatte auch jemand Angst vor dem unbekannten fernen Land. Jedenfalls konnten ich und einige andere am Gegenbesuch teilnehmen, obwohl sie in die Aktivitäten im Sommer 2009 noch nicht involviert gewesen waren.
Der Gegenbesuch erstreckte sich über 17 Tage vom 27. März bis 12. April 2010. Bis zum Morgen des 3. Aprils hielten wir uns in Gastfamilien in Ningbo auf; daran schloss sich eine Rundreise durch Suzhou, Hangzhou, Shanghai, Wuhan (Yichang) und Beijing an.
Die Partnerschule hieß Huamao Foreign Languages School. "Huamao" bezieht sich dabei auf den Namen eines großen Unternehmens, das mehrere Privatschulen in China unterhält und daneben auch Schulutensilien produziert. "Foreign Languages" ist übertrieben: In der Praxis lernt dort niemand mehr als Chinesisch und Englisch. Lediglich eine koreanische Minderheit lernt Koreanisch und es gibt wohl auch für irgendwelche Auserwählten, die mir unbekannt geblieben sind, die Möglichkeit, andere Sprachen zu erlernen. Faktisch sieht das Schulsystem in China aber keine individuelle Förderung vor: Frontalunterricht mit Multiple-Choice-Tests bis zum zwölften Schuljahr.
Bei der Huamao Foreign Languages School handelt es sich um ein Internat, in dem die Schüler montags bis samstags von 6.50 bis 21 Uhr, unterbrochen durch zwei Essenspausen, die Schulbank drücken müssen. In einem Klassenraum sitzen bis zu 50 Schüler, die Geschlechter scheinen einigermaßen gleichmäßig verteilt zu sein.
Unsere Austauschpartner waren also ausnahmslos Internatsschüler, deren Eltern bisweilen ziemlich weit weg wohnten. Für die Zeit des Austauschs zogen die Schüler mit uns zu ihren Eltern oder zu Verwandten, die in der Nähe der Schule wohnten. Wenige Chinesen logierten sogar für die Zeit des Austauschs mit ihren deutschen Gästen in Hotels.
Die Rundreise war vielfältig. Suzhou, Hangzhou und Shanghai in südlicher Küstengegend wurden kontrastiert von Wuhan und Yichang am Jangtse im chinesischen Inland. Die große Distanz wurde per Nachtzug überwunden. Von Wuhan brachte uns anschließend ein Flugzeug in die nördliche Hauptstadt Beijing.
Der Transfer zwischen Deutschland und China ging natürlich via Fluglinie zwischen Frankfurt und Shanghai vonstatten. Es handelte sich um Direktflüge - in die Hinrichtung 10, zurück 12 Flugstunden. Vor den Rückflug war allerdings noch ein Inlandsflug von Beijing nach Shanghai vorgeschaltet, der aufgrund ungünstiger Wetterlage ungewöhnliche viereinhalb Stunden in Anspruch nahm.
Gegenüberstellung der gewonnenen Eindrücke
Das war nun also bereits meine dritte Reise nach China. Nach einem Kurzurlaub (2007) [1] hatte ich bereits 2008 an einem Schüleraustausch unter ähnlichen Bedingungen mit der Fengfan Middle School in Hangzhou [2] teilgenommen. Da alle drei Aufenthalte verhältnismäßig kurz waren (zwischen 9 und 17 Tagen) und sich an teilweise unterschiedlichen Orten abspielten, ist es nicht verwunderlich, dass ich jedesmal neue Eindrücke von China erhielt. Es erscheint sinnvoll, die gemachten Erfahrungen zusammenzutragen und miteinander zu vergleichen.
Das Wetter in den Regionen Chinas, die wir auf unseren Reiserouten besuchten, unterschied sich im Frühling kaum vom deutschen Wetter. Nur der Kurzurlaub (2007) fand im Juni statt und war von sehr hohen Temperaturen geprägt. Besonders vom jüngsten Austausch mit Ningbo ist mir der Eindruck von einem eher kühlen, selten regnerischen aber oft windigen Klima in Erinnerung geblieben. Auffällig dabei ist, dass chinesische Wohnungen und Innenräume im Allgemeinen (z.B. Schulgebäude) bei diesen frischen Wetterverhältnissen nicht beheizt werden. Man öffnet sogar absichtlich die Fenster, sodass sich die Zimmertemperatur nicht von der Außentemperatur unterscheidet. Die Jacken werden entsprechend nicht mal am Esstisch ausgezogen.
Diese Erfahrung stach besonders beim jüngsten Aufenthalt heraus - da stellte sich die mitgebrachte Kleidung nämlich bei mir und anderen Teilnehmern ziemlich schnell als zu dünn heraus, was sich in zahlreichen Erkältungen und sogar grippalen Infekten niederschlug.
Der Unterschied zwischen dem Shanghaier und dem Beijinger Klima fiel jetzt im Frühling eher gering aus. Überall in China war der Himmel bei jeder Wetterlage von einem grauen Schleier bedeckt, der den Himmel nie richtig blau werden und mögliche Wolkengebilde grundsätzlich zu einem grauen Einheitsbrei verschwimmen ließ.
Über das Essen lässt sich generell sagen, dass es dort eher gemäßigt und für den europäischen Gaumen moderat ausfiel, wo wir mit Reisegruppen in Restaurants speisten. Dabei kam auch wenig Vielfalt auf. Das Essen, mit dem man in den Gastfamilien konfrontiert wurde, war um einiges kurioser, variabler, aber wohl auch eher getreu den tatsächlichen chinesischen Essgewohnheiten. Besonders köstlich kann der durchschnittliche Europäer das typische Essen der Chinesen wohl nicht finden, die abgeschwächte Version der "Touristenrestaurants" hat wohl ihre Berechtigung. Es ist aber trotzdem sinnvoll, die ungewöhnlichen Essgewohnheiten der Chinesen einmal unverfälscht kennenzulernen.
Der chinesische Verkehr stellte sich ununterbrochen als erschreckend chaotisch heraus. Die kuriosesten Erscheinungen von Eselkarren auf Hauptstraßen und Fahrrädern mit meterhoch beladenen Anhängern konnte ich eigenartigerweise bei meinem jüngsten Aufenthalt nur noch selten beobachten. Da hatte meine erste Reise nach China einen anderen Eindruck hinterlassen. Unverändert ist aber der generell recht hohe Anteil an Fahrrädern, insbesondere elektrischen Fahrrädern. Allerdings habe ich von meinem Austauschpartner erfahren, dass das Fahrrad als Verkehrsmittel trotzdem eher unbeliebt ist und nur verwendet wird, falls nicht genug Geld für ein Auto da ist - angesichts der niedrigen Gehälter in China befinden sich aber offensichtlich unzählige Menschen in dieser Lage.
An was für Reiseleiter man auf einem begleiteten Trip durch China gerät, ist anscheinend völliger Zufall. Bei der Reise mit DERTours von 2007 hatte eine sehr sympathische und kompetente Dame durch Beijing geführt, die Reiseleitung in Shanghai hatte dagegen keinen besonders guten Eindruck hinterlassen. Die Touren im Rahmen der Schüleraustausche hinterließen ein ähnlich ambivalentes Bild.
Von einer Dolmetscherin, die uns in Ningbo begleitete, wurde schließlich sogar bekannt, dass sie keine übliche Übersetzer-Qualifikation (akademische Ausbildung etc.) für die deutsche Sprache hatte. Als entsprechend unzureichend hatten sich auch ihre Deutschkenntnisse herausgestellt.
Auf der jüngsten Reise wurden einige Dinge klargestellt, die vorher nur zu erahnen gewesen waren. So erfuhr ich aus erster Hand von einem chinesischen Schüler, dass die verqueren Programme der Regierung durchaus auf inoffizielle Kritik im Volksmund stoßen, obwohl vieles in den Medien effektiv verharmlost wird. So erfuhr ich, dass Gebäude bisweilen absichtliche in marodem Zustand errichtet werden, um nach zwanzig Jahren wieder abgerissen zu werden. Die Devise lautet nicht nur hier: Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. 1.3 Milliarden Menschen in einer zunehmend urbanisierten Gesellschaft brauchen Arbeitsplätze. Da verwundert es auch nicht, dass Straßenfeger nicht nur in den Städten, sondern auch auf Landstraßen oder sogar Autobahnen eingesetzt werden. Es gibt auch Personal, dass auf öffentlichen Plätzen die Treppengeländer putzt und in Restaurants und Hotels sind bisweilen 3-4 Menschen alleine dafür eingeplant, die Eingangstür zu öffnen und hereintretende Gäste zu begrüßen.
Darüber hinaus konnte ich diesmal die Internetzensur deutlich spüren: Seit 2009 sind YouTube und Facebook von China aus nicht mehr erreichbar. Diese Sperre lässt sich auch nicht mithilfe (unverschlüsselter) Proxys umgehen. Ebenfalls gesperrt sind Vimeo und MyVideo. Google ist nicht gesperrt, sondern leitet auf Google Hongkong um, anstatt die eigentliche chinesische Seite (google.cn) anzuzeigen.
Ein deutscher Schüler war beim diesjährigen Austausch sogar ein Techtelmechtel mit einer chinesischen Schülerin eingegangen. Als die chinesischen Lehrer Wind davon bekamen, setzte man die beiden Jugendlichen unter enormen psychischen Druck. Die Sache wurde zum Glück allerdings erst am letzten Tag des Austauschs bekannt und zog keine weiteren Konsequenzen nach sich. Lediglich der deutsche Schüler hatte die Vermutung, dass man seiner chinesischen Freundin das Handy weggenommen hatte, um den SMS-Verkehr zwischen den beiden zu unterbinden.
Zuletzt ist bemerkenswert, dass sich mein Eindruck von der chinesischen Sprache auffällig verändert hat. Obwohl ich schon seit 2007 an keinem Sprachkurs mehr teilnehme, hat sich mein Verständnis für diese Sprache sogar verbessert. Alleine durch die Konfrontation mit dem Chinesischen hat sich inzwischen ein gewisses Gefühl für diese Sprache entwickelt. Hielt ich die chinesische Sprache anfangs noch für geradezu unerlernbar, denke ich inzwischen, dass der gesprochene, grammatische und lexikalische Teil der Sprache nicht so große Probleme aufwirft, wie man vermuten würde. Lediglich das Erlernen der chinesischen Schrift halte ich nach wie vor für eine sehr mühsame Angelegenheit.
Schließlich noch immer nicht genug gesehen
Als ich mich dazu entschlossen hatte, ein drittes Mal nach China zu reisen, wurde ich von allen Seiten gefragt, ob sich da nicht nur alles wiederholen werde, was ich bereits erlebt hatte. Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass das nichtmal der Fall gewesen wäre, wenn wir dieselben Orte erneut angefahren hätten. Tatsächlich sind meine Eindrücke vom Land der Mitte um unzählige Details erweitert worden. Was bereits bekannt war, empfand ich nur selten als langweilig, sondern ich konzentrierte mich dort einfach auf andere Dinge und konnte so vieles entdecken, dass mir vorher in der Flut der Eindrücke entgangen war.
In China gibt es dermaßen fremde Kulturen, die sich zusätzlich gerade heute in einem unheimlich schnellen Wandel befinden, dass man auch nach mehreren Aufenthalten in China kaum behaupten kann, "alles gesehen" zu haben. Die Eindrücke, die ich im Mittelteil dieses Artikels beschrieben habe, sind nur exemplarisch ausgewählt. Unzähliges musste ich verschweigen, um den Rahmen nicht zu sprengen.
Gerade die jüngste Reise nach China war nicht unwesentlich auch von vielen negativen oder zumindest unangenehmen Erfahrungen überschattet. Doch das Bild von einem dermaßen fremden und auch zwiespältigen Land wie China kann nicht ohne Widersprüche und Schocks komplettiert werden.
Ich bin sicher, dass ich eine weitere Gelegenheit für einen Besuch in China nicht unüberlegt verwerfen würde. Mein Eindruck scheint mir noch immer unvollständig und mein Interesse für dieses Land wächst mit jedem Besuch, obwohl meine Abneigung in vielerlei Hinsicht immer größer wird.