14. Juni 2009
Ironie zwischen Spott, Paradoxon und Humor
In den verbreiteten Stilmittel-Listen [1][2][3][4] wird der Begriff "Ironie" als eine sprachliche Ausdrucksweise definiert, bei der die wörtliche Bedeutung der tatsächlichen Bedeutung genau entgegengesetzt ist.
Spricht man im Alltag oder auch in der Schule - etwa im Deutsch- oder Englischunterricht - von Ironie, so reicht diese Definition offensichtlich nicht mehr aus. "Ironie" bedeutet plötzlich zugleich Übertreibung, Spott, Satire, aber trotzdem noch das oben genannte. Im gleichen Atemzug wird Sarkasmus als die Steigerung der Ironie bezeichnet - Zynismus sei dementsprechend noch der Superlativ.
Nun bin ich ja wirklich nicht konservativ, was Sprachen angeht: Wenn die landläufige Verwendung des Wortes Ironie sich so stark verändert hat, dass man das Wort sogar als "feinen Spott" in den Duden aufgenommen hat, ist dem nun mal so. Dieses Schicksal erleiden viele Wörter.
Doch man sollte sich schon noch verständigen können. Wie heißt denn nun das Stilmittel, bei dem die wörtliche Bedeutung der tatsächlichen Bedeutung entgegengesetzt ist? Geben wir dem jetzt einen neuen Namen, oder muss dafür weiterhin die "Ironie" hinhalten? Außerdem frage ich mich, wieso wir in Einzelfällen nicht einfach Spott, Übertreibung oder Satire sagen, anstatt den Ironiebegriff weiter zu strapazieren.
Nun muss ich gestehen, dass Ironie aus dem Griechischen von "Verstellung" oder "Vortäuschung" kommt. Eine strikte Begrenzung auf das "Gegenteil des Gesagten" ist das nicht gerade. An diesem Punkt sah ich die Notwendigkeit einer fundierteren Recherche. Die Wikipedia-Artikel zu den Themen Ironie [5], Sarkasmus [6] und Zynismus [7] sprechen zwar eine recht eindeutige Sprache, aber wer will sich schon mit der Quelle "Wikipedia" zufrieden geben.
Auf wirklich fundierte und ausführliche Informationen zum Thema "Ironie" stieß ich im "Fischer Lexikon: Literatur". Hier war der Werdegang der Bedeutung von "Ironie" auf fast acht Seiten zu finden: der Begriff im Wandel von Sokrates und Aristoteles bis Kierkegaard und Thomas Mann.
Sokratische Ironie entspricht ungefähr dem, was man heute unter "Understatement" versteht. Bei Thomas Mann ist "Ironie" eher eine Wechselwirkung zwischen Form und Inhalt, die gar nicht eindeutig verallgemeinerbar zu sein scheint. Seit der "romantischen Ironie" ist eines ihrer Merkmale, dass sie sich gar nicht mehr in konkreten Äußerungen offenbart, sondern das Werk unterschwellig durchzieht.
Mein Fazit aus dem ganzen Hin und Her ist, dass man bei der Verwendung des Begriffs Ironie extrem vorsichtig sein sollte, weil so viele verschiedene Definitionen existieren. Ein Ausweg aus dem Dilemma wäre, sich an den etymologischen Wurzeln zu orientieren. Denn die sind das Einzige, auf das man sich wirklich verlassen kann. Unter einer "Verstellung" kann man zwar immernoch einiges verstehen, aber es grenzt die aktuelle Bedeutungsvielfalt doch ziemlich stark ein. Übrigens schließt eine "Verstellung" die ganz zu Anfang erwähnte Definition mit ein.
Zuletzt würde ich mich doch darüber freuen, wenn wir wenigstens Sarkasmus und Zynismus in Zukunft nicht auf die simple Steigerung des verschwommenen Ironiebegriffs beschränken würden. Es würde unsere Sprache meiner Meinung nach bereichern, ließen wir wenigstens diesen Begriffen ihre differenzierte Bedeutung:
Wenn im Schulunterricht irgend jemand was Freches oder Überspitztes sagte, kam häufig, meist aus der Reihe der Mädchen, die vorwurfsvolle Frage »Ist das nicht Zynismus?« Der Lehrer sagte dann immer: »Nein, das ist ein Sarkasmus.« Näher wurde da nie drauf eingegangen, vielleicht hatte der Lehrer den Unterschied auch nicht ausformuliert parat und wollte vor den Schülern nicht ins Herumdrucksen kommen. Klar war nur: Zynismus schlecht, Sarkasmus gut. Das reicht ja auch als Info für ein paar alberne Teenager. Doch selbst dieser Wertungsunterschied ist heute kaum noch bekannt. Die Begriffe Zynismus und Sarkasmus werden flächendeckend, überall, in Medien sämtlicher Art miteinander verwechselt. Dabei sind die Unterschiede einfach und klar. Zynismus ist ein Wesenszug, während Sarkasmus das Resultat von Formulierungskunst ist. Zynismus ist ein Resultat von Enttäuschung und Vereinsamung. Er besteht im Negieren aller Werte und Ideale, im Verhöhnen der Hoffnung, im Haß auf jedes Streben nach Besserung. Der Zyniker glaubt nicht, daß etwas zu bessern sei. Er sagt »Es geht ja sowieso nur immer um Sex und Geld, die Menschen sind sowieso schlecht, es wird sowieso alles den Bach runtergehen, warum soll ich nicht die Bild-Zeitung lesen, es ist doch sowieso alles egal.« Das Lieblingswort des Zynikers ist »sowieso«. Als Zyniker kehrt man aus Kriegen zurück, der Sarkast kehrt allenfalls aus seinem Weinkeller zurück, und mit der guten Flasche dort geholten Rotweins setzt er sich in seinen Sessel und denkt sich neue, teils spitze, teils mürrische Bonmots aus, wobei er sehr viel Lebensfreude empfindet und aussendet.
Max Goldt: Mein Nachbar und der Zynismus (titanic 10/2000)