tovotu

2. September 2010
Kommunikation über - ähm - Verzögerungslaute

Jeder Rhetorik-Ratgeber und -Lehrgang geht mindestens kurz auf die Verwendung so genannter Verzögerungslaute oder Pausenfüller ein: äh, öhm, hmm und so fort. Die konsequente Verdrängung dieser Laute aus dem eloquenten Sprachgebrauch ist schon lange eine einprägsame Grundregel der Redekunst, die in Frage zu stellen lächerlich klingt.

Bemerkenswert ist allerdings, dass diese Laute eine so bedeutsame Stellung in Unterhaltungen einnehmen, dass man sie sogar in Chaträumen im Internet verwendet. Das verwundert vor allem, wenn man einmal hinter die anatomisch-physiologische Ursache für die scheinbar bedeutungslosen Pausenfüller gekommen ist: Tatsächlich verhindern sie nämlich, dass man förmlich aus dem Redefluss kommt, indem sie die so genannte "Sprechatmung" aufrecht erhalten und das Zurückfallen in die übliche Atemtechnik, bei der Phasen des Einatmens und Ausatmens viel gleichmäßiger verteilt sind, verhindern.

Die ausgeschriebenen Verzögerungslaute im Internet-Chat erfüllen diese physiologische Funktion selbstverständlich nicht. Ihre Verwendung legt also nahe, dass sie noch mindestens einen anderen Zweck erfüllen: Sie sind auch Informationsträger. Diese Feststellung war auch schon Thema eines sehr knapp gehaltenen Artikels auf der Webseite der Zeitschrift "Bild der Wissenschaft" im Jahre 2002 [1].

In der gedruckten Ausgabe dieser Zeitschrift gab es dann 2007 einen ausführlicheren Bericht über eine Studie zum Thema. Das Nachrichtenportal Wienweb bezieht sich darauf in einem Artikel [2]. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass die Verwendung der Verzögerungslaute an sinnvoll gewählten Stellen im Redefluss die Aufmerksamkeit der Zuhörer nachweislich erhöhen kann. Das ist auch nicht schwer nachzuvollziehen, wenn man bedenkt, dass diese Laute insbesondere an Stellen eingeflochten werden, an denen der Sprecher es für notwendig hält, seine Gedanken neu zu ordnen. Das signalisiert dem Zuhörer entsprechend, dass jetzt etwas Kompliziertes folgen wird. In anderen Fällen können die Pausenfüller auch ausdrücken, dass die folgende Information mit einiger Unsicherheit behaftet ist, und oft sind auch völlig situationsbezogene Deutungen denkbar.

Die Verzögerungslaute verschaffen dem Gesprächspartner also einen Einblick in eine Gedankenebene, die im sonstigen Gesprächsinhalt nicht zu Tage tritt. Diese Sichtweise wird insbesondere interessant, wenn man einen anderen Artikel in der schon zitierten Bild der Wissenschaft mit einbezieht [3]. Hier legen Forscher die These dar, dass die Gehirne zweier Gesprächspartner im Dialog sehr ähnliche Aktivitäten in den relevanten Spracharealen aufweisen. Dabei wird herausgestellt, dass dieses Phänomen natürlich nur auftritt, wenn die Partner verstehen, wovon sie reden. Und wenn man bedenkt, dass auch die Verzögerungslaute eine Entsprechung im Gehirn haben, wird man ihre Notwendigkeit oder zumindest ihren nützlichen Charakter im Gedankenaustausch nicht mehr leugnen können.

Die rhetorische Leitlinie, Pausenfüller zu eliminieren und eventuell sogar durch Pausen zu ersetzen, sollte also durchaus kritisch betrachtet werden. Sprechpausen, die nicht durch solche Verzögerungslaute gefüllt werden, können in vielen Fällen den Zuhörer, wenn nicht sogar den Sprecher selbst aus dem Konzept bringen. Denn der Zuhörer wird sich über die für ihn unerklärliche Kommunikationslücke wundern und der Sprecher selbst droht aus physiologischer Sicht (siehe oben) aus dem Redefluss zu geraten.

  1. wissenschaft.de/six.../detail.php?id=149006
  2. wienweb.at/content....px?menu=13&cid=140297
  3. wissenschaft.de/wis...haft/news/311606.html

Kommentare

Administrator 30. Mai 2013

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RR33 30. Mai 2013

Sehr aufschlussreicher Sachtext. Wer ist der Verfasser dieses Artikels? Gibt es Infos über ihn?
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