tovotu

27. September 2010
Unfaire Auswahlkriterien bei Bewerbungsverfahren - Fachoberschule = Gymnasiale Oberstufe?!

Jedem Abiturienten müsste bisweilen aufgefallen sein, dass es heutzutage unzählige Möglichkeiten gibt, seine Zukunft individuell zu gestalten und jedem in der Theorie alle Türen offen stehen. (Dass der NC viele Türen in der Praxis wieder verschließt, sei außer Acht gelassen.) Neben den vielfältigen Studiengängen auf Universitäten und Hochschulen stellt ein BA-Studium (Studium auf einer Berufsakademie zusammen mit einer Ausbildung in einem Unternehmen) für viele Schulabgänger eine mögliche Alternative dar. Hierbei können sie ihr theoretisches Wissen mit der Praxis verbinden und erhalten zusätzlich monatlich ein Gehalt von etwa 700 - 1000 Euro.
Für ein solches Studium können sich auch Fachoberschulabsolventen bewerben, die ein anderes Schulsystem mit einer anderen Zielsetzung durchlaufen haben. Man sollte es nicht für möglich halten, aber einige deutsche renommierte Unternehmen machen beim Bewerbungsverfahren bezüglich der Noten keinen Unterschied zwischen Fachoberschüler und Abiturient: So werden ganze Bewerbungsschreiben mit Lebensläufen von Abiturienten nicht berücksichtigt, weil der Abiturient im Vergleich zum Oberschulabsolvent "schlechtere Noten" zu haben scheint.

Warum diese sehr oberflächliche Methode einfach unfair, ignorant und skandalös ist, werde ich im Folgenden erklären:
Die Priorität auf die Noten zu setzen, um sich ein Bild über die Leistungsbereitschaft und den Wissensstand der Bewerber zu machen, ist verständlich. Natürlich muss dies auf einer vergleichbaren Basis geschehen. Das Problem ist jedoch, dass sich die Noten zwischen Fachoberschulabsolventen und Abiturienten von Grund auf nicht vergleichen lassen. Die Gründe hierfür sind vielseitig: Zum einen ist das Eingangsleistungsniveau zwischen den beiden Schulformen bei Schulbeginn schon erheblich unterschiedlich. Während in der gymnasialen Oberstufe überwiegend Gymnasiasten anzutreffen sind, die bereits sechs Jahre in allen Fächern auf einem höheren Niveau Unterricht genossen haben (das fängt schon bei unterschiedlichen Büchern an), sind in der Fachoberschule überwiegend durchschnittliche Realschüler anzutreffen (gute Realschüler würden auf die gymnasiale Oberstufe gehen) oder Gymnasiasten, die in den vorherigen sechs Jahren unterdurchschnittliche Leistungen erbracht haben (immer bezogen auf die Hauptfächer Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch, die in Bewerbungsverfahren eine wichtige Rolle spielen).
Selbstredend ist das weiterführende Niveau, der Anspruch und vor allem die Basis, auf die die unterrichtenden Lehrer aufbauen, zwischen den beiden Schulformen in den kommenden zwei bzw. drei Jahren komplett unterschiedlich.
Diese beiden unterschiedlichen Niveaus klaffen sogar noch weiter auseinander, da die Gymnasiasten in den drei Jahren der Oberstufe durchgehend Unterricht genießen, während die Fachoberschulabsolventen oftmals nur ein Jahr unterrichtet werden und in dem anderen Jahr ein Betriebspraktikum absolvieren. Ein weiterer Unterschied ist außerdem, dass die Gymnasiasten ihren Neigungen entsprechend durch die Wahl von Leistungskursen unterrichtet werden.
So muss logisch geschlussfolgert werden, dass sich diese beiden Schulformen von der Zielsetzung (Lehrpläne) und vor allem vom Leistungsniveau her sehr unterscheiden. Ein Abschlussnotenvergleich z.B. im Fach Mathematik zwischen einem Gymnasiasten mit Mathematikleistungskurs mit der Note 9 Punkte und einem Fachabiturienten mit der Note 11 Punkte, der ungefähr nur ein Drittel (höchstens!) des Lernstoffes eines Mathematikleistungskurses vermittelt bekommen hat, müsste demnach höchst ungerecht, unfair, oberflächlich und einfach nicht vergleichbar erscheinen, wo ist da noch die Objektivität?
Hinzu kommt der lokale Leistungsunterschied zwischen den verschiedenen Bundesländern (z.B. Bayern und Berlin), der eine Vergleichbarkeit zusätzlich erschwert.

Wenn nun die Noten als Indikator dafür herangezogen werden, ob die Bewerbung und das Bewerbungsschreiben überhaupt (!) berücksichtigt werden oder nicht, wird die Ungerechtigkeit noch größer und es mag dem Außenstehenden schon fast ignorant vorkommen, wenn ein so augenscheinlicher Unterschied übergangen wird. Umso enttäuschender ist es, zu erfahren, dass so ein Verfahren auch bei international anerkannten und renommierten deutschen Unternehmen angewandt wird. Ehrlich gesagt, hätte ich mir da mehr Professionalität erhofft.

So wäre es fairer, wenn zunächst mehr Wert auf objektivere Vergleichspunkt gelegt wird, wie z.B. Tätigkeiten neben der Schule, Auslandsaufenthalt und Praktika. Erst sekundär müsste dann auf die Noten geachtet werden. Hierbei wäre es in meinen Augen fairer, wenn bei Fachoberschülern auf einen sehr guten Schnitt und bei Abiturienten auf einen guten Schnitt geachtet würde.

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag

Kommentare

Administrator 28. September 2010

Hier in Bonn darf man den Master in Mathematik nur studieren, wenn man einen Bachelor-Abschluss von 2,0 oder besser hat. Mit schlechterem Schnitt kommt man unter Umständen in ein gesondertes Auswahlverfahren, hat aber natürlich ziemlich schlechte Karten. Und Bachelor-Absolventen von anderen Universitäten werden aber prinzipiell strenger bewertet als Studenten der Uni Bonn. Das liegt allerdings daran, dass das Bachelor-Niveau an der Uni Bonn erfahrungsgemäß viel höher ist als an anderen Hochschulen.
Dass der Master nicht bedingungslos für alle zugänglich ist, ist durch das Ba/Ma-System an sich bedingt. Demnach gilt der Bachelor nämlich schon als eigenständiger Abschluss, was sich vielleicht in vielen Fächern auf dem Arbeitsmarkt noch nicht so durchgesetzt hat. Und wer den Master macht, der setzt eben noch ein freiwilliges Sahnehäubchen drauf - vergleichbar mit dem Doktor, den auch nur die besten machen.

Nils 27. September 2010

Ja, da hast du wohl Recht. Das mit den Masterstudiengängen habe ich auch schon gehört. Das ist natürlich auch ein Oberhammer, wenn ein Universitätsstudent nach dem Bachelor nicht mehr auf seiner eigenen Uni weiterstudieren kann, nur weil sich viele Hochschulabsolventen auch wieder mit scheinbar besseren Noten bewerben und ihm somit seinen alten Platz "nehmen".
Ich finde, standardisierte Teste sind insofern wichtig, als dass sie schnell zeigen, ob der Bewerber die Mindestanforderungen oder Kenntnisse besitzt. Alles darf darüber natürlich nicht laufen. Aber mittlerweile gibt es auch sehr gute Trainingsprogramme, die einen extra dafür vorbereiten... Alles irgendwie unfair..

Moritz 27. September 2010

kann ich absolut nachvollziehen, deinen Unmut. Bei der Zulassung zu Masterstudiengängen ist das wohl ähnlich, dass hier nur auf die Abschlussnote geachtet wird und nicht auf Art der Hochschule oder Renomée. Trotz allem glaube ich allerdings auch einfach nicht, dass eine objektive Bewertung überhaupt möglich ist. Viele Unternehmen und auch Hochschulen versuchen durch Vorstellungsgespräche, Assessment-Center und ähnliches wirkliche Vergleichbarkeit zu erzielen. Was aber wenn man einfach einen schlechten Tag erwischt hat, oder am zweiten Auswahlwochenende mit anderen Teilnehmern als in der vorherigen Woche verglichen wird. Wie sollte es gehandhabt werden, wenn jemand einen echt ehrgeizigen Fachhochschullehrer in Berlin hatte, der seiner Klasse weit überdurchschnittlich viel beigebracht hat. Und Sind Bayern wirklich generell intelligenter/fähiger als Niedersachsen? Standardisierte Tests wären sicherlich ein möglicher Weg zu mehr Vergleichbarkeit. Aber lassen sich Menschen überhaupt über Testergebnisse abbilden? Meiner Meinung nach nicht. Deshalb glaube ich, wird man auch in Zukunft immer eine große Portion Glück benötigen, um in Auswahlverfahren erfolgreich sein zu können.
Erst vor kurzem habe ich an zwei Auswahlverfahren teilgenommen und kenne deshalb auch das Problem, das du ansprichst ganz genau. Bei diesen Auswahlverfahren wurden tausende Euro in Systeme investiert, die die Transparenz erhöhen sollten und doch glaube ich nicht, dass wirklich nur die Leute genommen wurden, die am besten gepasst hätten oder die Stelle am meisten verdient hätten.
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