18. Oktober 2010
Elektronische Musik gebunkert - Trentemøller in Hamburg
Im Stadtteil St. Pauli der norddeutschen Metropole Hamburg ragt ein Bauwerk von gigantischem Ausmaß in die Höhe. Eine massive Festung aus Beton, die dem staunenden Betrachter den Hals zu verrenken droht: Der Flakbunker im Heiligengeistfeld [1].
Kaum passender könnte der Titel des Clubs gewählt sein, der sich in diesem Ungetüm eingerichtet hat: "Übel & Gefährlich". Als der dänische Tonkünstler Trentemøller, der auf dieser Webseite schon thematisiert wurde [2], vor gut einer Woche an diesem "gefährlichen" Schauplatz gastierte, war ich vor Ort und staunte nicht schlecht ob des Bauwerkes und natürlich der gewohnt grandiosen Musik.
Wer noch nie dort war, kann sich das Übel & Gefährlich als einen Konzertsaal mit einem Fassungsvermögen von etwa 1000 Personen vorstellen, ausgestattet mit einer Garderobe, einer Bar und natürlich einer (nicht allzu großen) Bühne. An der hohen Decke verlaufen nackte Rohre und die Wände schmücken silhouettenartige Verzierungen.
Am Abend des 9. Oktobers hatte der Auftritt von Trentemøller viele Fans angelockt, die das Übel & Gefährlich gut ausfüllten. Doch das Auditorium musste zunächst den Auftritt der Vorband Chimes & Bells über sich ergehen lassen, die leidlich gute Musik in gewöhnlicher Bandformation präsentierte, aber doch stilistisch ganz gut zu Trentemøllers neuer Linie passte. Insbesondere die träge-klagende Stimme der Sängerin erinnerte an einige Titel aus Harbour Boat Trips und Into the Great Wide Yonder. Wie auch immer: Nach einer viel zu langen Umbauphase war es dann endlich so weit...
Aufgrund des Richtungswechsels in den neuen Produktionen Trentemøllers hatte ich eine konservativere Verwendung der elektronischen Klangerzeugung befürchtet. Das wurde aber nicht bestätigt. Zwar erinnerte das Bühnenbild teilweise an übliche Combos aus E-Gitarre, Schlagzeug, Bass und Sängerin. Dieser Eindruck wurde aber von der in der Mitte tronenden Hauptperson gründlich gestört: Trentemøller war förmlich umgeben von Schaltpulten, Keyboards, kleinen Bildschirmen und einzelnen kleinen Musikinstrumenten wie einem Glockenspiel, das schließlich auch in "Miss You" zur Geltung kam.
Ich war schon an einigen Konzerten oft auch unkonventioneller Bands, habe aber dennoch nie erlebt, dass so stark und viel an den von den Alben bekannten Stücken improvisatorisch verändert wurde wie bei Trentemøller. In den viel zu kurzen 90 Minuten seines Konzerts präsentierte er mindestens 5 völlig neue Versionen seiner Tracks. Da werfe noch einer der elektronisch erzeugten Musik vor, sie sei weniger "selbstgemacht"!
Kurzum: Trentemøllers Auftritt in Hamburg war grandios, hatte aber jene Macken, die mich zweifeln lassen, ob ich überhaupt je wieder Lust haben werde, zu einem "Popkonzert" zu gehen: Die Musik ist unglaublich laut; es ist fürchterlich warm, stickig und voll; man bezahlt 30 Euro, verbringt 3 Stunden im Saal, die Darbietung selbst verschlingt aber gerade mal die Hälfte der Zeit. Konventionelle Klassik-/E-Musik- und die meisten Jazzkonzerte präsentieren sich da in einem vorteilhafteren Rahmen, wenn auch nicht in solch imposanten Ungetümen wie dem Heiligengeistfelder Flakturm.