20. November 2010
Philosophieren für jedermann und ganz ohne Rotweingläser
An jedem dritten Freitag im Monat findet seit geraumer Zeit in einem kleinen Bonner Bistro, dem Pauke Life [1], das so genannte Philosophische Café statt: offene Diskussionsabende zu philosophischen Themen, an denen jeder teilnehmen darf - der Eintritt ist frei.
Im Vordergrund steht an diesen Abenden jeweils ein spezielles Diskussionsthema, das von Markus Melchers, der sich selbst als "praktischen Philosophen" bezeichnet, vorgestellt, moderiert und koordiniert wird.
An zwei Veranstaltungen dieser Reihe zu den Themen "Zorn" und "Selbsttäuschung" habe ich inzwischen selbst teilgenommen und dabei einige Interessante Erfahrungen gemacht.
Das Pauke Life fördert mit der kostenfreien Veranstaltung das philosophische Interesse vor allem derjenigen, die zur philosophischen Diskussion mangels Philosophiestudium nicht kommen. Die Zielgruppe sind also Laien und mein Eindruck war bisher, dass man im Philosophischen Café tatsächlich überwiegend solche antrifft.
Doch es handelt sich meistens um intellektuelle Laien: interessierte und oft belesene Menschen, die sich gerne auf große Namen aus Philosophie, Psychologie, Literatur und so weiter berufen.
Aus diesem Grunde und natürlich wegen der vorsichtigen Lenkung durch die Moderation behalten die Diskussionen immer ein recht beeindruckendes Niveau, obwohl sich Personen ganz unterschiedlicher Generationen daran beteiligen. Ich gehöre mit dem frühen studentischen Alter eher zu den jüngsten in der Runde, aber wie sich beim letzten Mal gezeigt hat, stört auch eine Schulklasse nicht das friedliche Bild.
Die beiden Philosophischen Cafés, denen ich bisher beiwohnte, waren gut besucht, das zweite sogar hoffnungslos überfüllt, was aber unter Umständen damit erklärt werden kann, dass - wie eben erwähnt - eine ganze Schulklasse zusätzlich im Raum saß.
Herr Melchers gelingt es bei den vielen Menschen sehr gut, jeden zu Wort kommen zu lassen, und bisher war es nie nötig, einem Sprecher, der allzu viel zu sagen hatte, das Wort abzuschneiden. Auch ernstere Streitereien und Fehlgriffe im Tonfall treten meiner Erfahrung nach nicht auf.
Die Diskussionsabende bieten also ein gemütliches Ambiente zum intellektuellen Gedankenaustausch - ohne Rotweingläser übrigens, denn, da das Pauke Life ein Träger der Bonner Suchthilfe ist, ist in der Einrichtung Alkohol- und Tabakkonsum untersagt.
So positive Worte kann man über die inhaltliche Entwicklung der Diskussionen aber nicht verlieren, was ganz natürlich darauf zurückzuführen ist, dass sich viel zu viele Menschen gleichzeitig an den Diskussionen beteiligen. Konkret äußert sich das darin, dass es zwar immer um ein recht überschaubares Diskussionsthema (etwa "Zorn") geht, aber trotzdem sehr bald klar wird, dass Uneinigkeit darüber herrscht, was dieser Begriff eigentlich bedeutet. Das führt regelmäßig zu scheinbar willkürlichen und aus der Luft gegriffenen Abgrenzungen zu anderen Begriffen (etwa "Wut","Empörung","Entrüstung"). Das klingt zwar nicht so falsch, löst das Problem aber nicht, weil ja auch über diese neuen Begriffe keine Einigkeit herrscht.
Das Thema hinreichend genau zu definieren, wäre an dieser Stelle eigentlich Aufgabe des Moderators, der davor aber zurückschreckt: Man will an diesen Abenden nämlich einen offenen Diskussionsstil wahren und dazu zählt man eben auch, dass die Diskussionsteilnehmer selbst es sind, die das Thema hinreichend abgrenzen. Da ihnen das nicht gelingt, wäre es eine Überlegung wert, entweder die Abgrenzung strenger vorzugeben, oder die Diskussion schon früh zu einer Einigung zumindest bezüglich des Diskussionsthemas zu lenken.
Doch wie bereits erwähnt halte ich die inhaltliche Schwäche dieser Abende für ein kaum zu bändigendes Resultat der unüberschaubaren Zielgruppe. Diese Schwäche tut im Übrigen dem Charakter eines intellektuell inspirierenden und kurzweiligen Zeitvertreibs durchaus keinen Abbruch.
Dass der "praktische" Philosoph lange nicht in allen Teilnehmern der Runde steckte, wurde übrigens spätestens da klar, als die Dame, die am Anfang der Veranstaltung erklärte, man verbiete hier aus guten Gründen Alkohol- und Nikotinkonsum, vor dem Café nervös an einer Zigarette ziehend in denkwürdige Erscheinung trat.