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20. Dezember 2009
Der musikalisch-historische Faust der Neuzeit

Es ist vielleicht der Höhepunkt der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts und bildet die wohl beste literarische Verarbeitung der ersten Hälfte jenes geschichtsträchtigen Jahrhunderts. Keine Frage: Thomas Mann hat mit dem Doktor Faustus ein wahrliches Wunderwerk vollbracht.

Obgleich ich in den höchsten Tönen davon schwärme, wage ich nicht zu behaupten, mich mit dem Roman hinreichend beschäftigt zu haben, um ihm mit meiner Bewertung gerecht zu werden. Schon für einen ungeübten Leser wie mich ist es nämlich offensichtlich, dass Thomas Mann in den etwa 700 Seiten mehr verpackt hat, als man von einer Lektüre dieses Umfangs gewohnt ist.

Ich bin erst vor wenigen Tagen mit dem Dr. Faustus fertig geworden und werde mir wohl unbedingt noch den ein oder anderen Kommentar dazu durchlesen müssen. Bezeichnend ist nämlich, dass selbst der Autor sein Werk für so schwierig hielt, dass er im Anschluss daran einen zweiten Roman über die "Entstehung des Doktor Faustus" schrieb, der mindestens genauso dick ist wie das behandelte Werk selbst.

Die Sage vom spätmittelalterlichen Wissenschaftler (Johann) Faust, der sich an der Zauberkunst versucht und ein legendäres Bündnis mit dem Teufel eingeht, ist unzählige Male - nicht nur literarisch - verarbeitet worden und wurde spätestens durch Goethes Dramen berühmt.

Thomas Mann hat mit dem Doktor Faustus nicht im entferntesten ein Kräftemessen mit einer dieser Verarbeitungen im Sinn gehabt. Sein Werk grenzt sich in sehr vielen Merkmalen von den übrigen ab. Insbesondere unterscheidet er sich grundlegend von Goethes Meisterwerk.

Einige Merkmale des Doktor Faustus sind: Im Verlauf des Romans trägt keine Person den Namen "Faust". Die Geschichte spielt im Deutschland der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hauptperson ist ein Komponist, ein Künstler also und kein Wissenschaftler, dessen komplette Biographie aus der Sicht eines Freundes berichtet wird. Entsprechend stellt Musik ein wesentliches Thema des Romans dar. Ebenso fließen aber auch historische, philosophische, theologische, autobiographische und sicherlich noch viele andere Aspekte in die Konzeption ein.

In einem Nachwort des Herausgebers (in der "Frankfurter Ausgabe") wird in aller Kürze der Zeitraum zusammengefasst, den Thomas Mann beim Verfassen dieses Werkes aufwendete. All die Bücher und Schriften, die er las, die zahlreichen Rücksprachen mit großen Denkern seiner Zeit - insbesondere mit Theodor W. Adorno - und nicht zuletzt die unglaubliche Zeit und Mühe, die der ca. 70jährige Schriftsteller investierte, sind zutiefst beeindruckend. Und die Schwere des Stoffs wird dem Leser durchaus offenbar, auch wenn er kaum eine Chance hat, das Gelesene beim ersten Kontakt auch nur ansatzweise zu durchdringen.

Nun ist meiner Meinung nach schon allein der Stil und der pure Inhalt dieses Romans Grund genug, ihn zu lesen. Das heißt: Wer sich nicht ausführlich damit auseinandersetzen will und kann, verpasst zwar etwas, kann allerdings dennoch höchsten Genuss mit dem Doktor Faustus finden.
In jedem Fall dürfte Doktor Faustus aber nicht für Leser geeignet sein, die noch nie mit einem der großen Romane von Thomas Mann in Berührung gekommen sind.

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