tovotu

5. Februar 2013
Cicero über Diskussionskultur

Wenn ich Diskussionen im Internet verfolge, sticht mir in der Regel ein großer Schwachpunkt ins Auge: Wenn jemand die Meinung eines Anderen (sachlich korrekt) kritisiert, tendiert der Zweite ungewöhnlich schnell dazu, es als persönliche Beleidigung aufzufassen. Der Zweite ist dann oft entmutigt: Anstatt dagegen zu argumentieren wird er seinerseits unsachlich und persönlich, womit die ganze Diskussion in der Regel ein trauriges Ende nimmt, obwohl der Erste gerne die Meinung der Gegenseite gehört hätte. Man schlägt einen provokanten Ton ja oft doch gerade darum an, weil man die Gegenseite zu einer eigenen Argumentation anstacheln will. Leider hat die gängige Diskussionskultur aber zur Folge, dass wirklich sachliche und niveauvolle Diskussionen nur zwischen Leuten stattfinden, die sich ohnehin beinahe in allen Punkten einig sind.

Aber natürlich ist das nicht allein ein Phänomen des Internets. Man kann es überall beobachten und schon in der Antike war es wohlbekannt - Grund genug, an dieser Stelle mal wieder mit Cicero darauf hinzuweisen:

In Ciceros Buch De finibus bonorum et malorum fragt der Epikureer Torquatus Cicero nach seiner Meinung über Epikur und erhält eine ausführliche, dabei aber sehr kritische Antwort - "mehr um [Torquatus] herauszufordern als um mich selbst auszusprechen" (magis ut illum provocarem quam ut ipse loquerer). Der ebenfalls anwesende Triarius stellt fest, dass Cicero kein gutes Haar an Epikur zu lassen scheint...

Darauf erwiderte ich: „Es ist unmöglich, Triarius, dass man seine Missbilligung nicht da aussprechen soll, wo man anderer Ansicht ist. Was könnte mich hindern, ein Epikureer zu werden, wenn ich seine Lehre billigte? Zumal da man sie spielend erlernen kann. Wenn sich deshalb Männer verschiedener Ansicht tadeln, so verdient dies noch keine Rüge; nur Schimpfreden, Verläumdungen, Zorn, Zank, und hartnäckigen Eigensinn bei den Besprechungen halte ich eines Philosophen nicht würdig.“
Da sagte Torquatus: „Ich bin ganz Deiner Meinung; man kann sich nicht streiten, ohne zu tadeln, und ebenso wenig kann man im Zorne oder Eigensinn gründlich erörtern. Aber in der Sache selbst könnte ich wohl antworten, wenn es Euch nicht belästigt.“
„Glaubst Du“, erwiderte ich, „dass ich so gesprochen haben würde, wenn ich Dich nicht gern hätte hören wollen?“

Cicero, De finibus, I. 27f.
Übersetzung von J. H. von Kirchmann, Leipzig 1874 [1]

  1. zeno.org/Philosophi...ste+Gut+und+%C3%9Cbel

Kommentare

vlow 15. Februar 2013

*wider

vlow 15. Februar 2013

Spiegelt im Grunde auch die erste Aussage des Harvard-Konzeptes wieder: Personen und Probleme trennen. Dummerweise funktionieren die Prinzipien des Konzepts erst dann richtig gut, wenn sie allen Beteiligten bekannt sind
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