tovotu

18. Mai 2013
Orientalisch-klassisch-elektronische Stilfusion

Orientalische Rhythmik, ein verrückt gewordenes Klavier und die für westeuropäische Ohren ungewohnten Vokale, gerollten Rs und Kehllaute des Arabischen - in Who's gonna get the ball from behind the wall of the garden today?[1] wird man mit einer bemerkenswerter Synthese dieser Elemente konfrontiert.

Es handelt sich um das zweite Album des studierten Perkussionisten und Pianisten Bachar Mar-Khalifé,[2] der nach seiner Zeit am Conservatoire de Paris eigentlich zunächst im klassischen Milieu mit Dirigenten wie Lorin Maazel und im Orchestre de France arbeitete. Im Zuge seiner Zusammenarbeit mit dem traditionsreichen Ensemble Intercontemporain (gegründet 1976 von Pierre Boulez) beschäftigte er sich aber zunehmend mit zeitgenössischer, elektronischer und Jazzmusik.

Bachar Mar-Khalifés musikalische Ader findet außerdem Entsprechung in seinem familiären Umfeld: Er ist der jüngste Sohn des libanesischen Sängers und Komponisten Marcel Khalife. Sein älterer Bruder Rami ist ein angesehener Komponist und Pianist - übrigens ein Mitglied des Trios Aufgang, von dem ich bereits vor drei Jahren [3] berichtete.

"Machins Choses" - Bachar Mar-Khalifés neueste, zeitgleich mit dem eingangs genannten Album veröffentlichte Single - schlägt zunächst ruhige Saiten an.[4] Diese freie Interpretation des gleichnamigen Titels aus der Feder des berühmten Chansonniers Serge Gainsbourgh (60er Jahre) nahm Mar-Khalifé in Zusammenarbeit mit der Sängerin Kid A (bürgerlich Ann Alexander Thweatt) in einer minimalistischen und eher balladesken Klavierversion auf.

Viele andere Titel des Albums zeichnen sich dagegen durch einen markanten libanesisch-arabischen Einfluss aus. Wenig außergewöhnliche Pop-Harmonien stehen orientalischer Rhythmik und Sprache gegenüber. Zentrales Verbindungsstück ist meist das Klavier, das bei Bachar Mar-Khalifé weniger für Harmonie und Melodie als vielmehr für Percussions eingesetzt wird. Er sagt selbst: "Die Leute vergessen gewöhnlich, dass die ursprüngliche Natur des Klaviers ... in den Percussions liegt."[5]

Bemerkenswert ist sicherlich, welche überraschenden Klangmuster Bachar Mar-Khalifé dem Klavier unter dieser Prämisse entlockt. Dabei ist insbesondere interessant, dass es gerade das eigentlich so westlich geprägte Klavier ist, das in Titeln wie Mirror Moon, Ya Nas, Marea Negra, Distance oder Requiem neben dem Gesang wesentlich zur orientalischen Atmosphäre beiträgt. Andererseits übernimmt das Klavier mitunter auch melodiöse Aufgaben, die dann aber immer dem Jazz- und Pop-Umfeld entstammen. Besonders gelungen sind meiner Meinung nach die Schnittstellen und Überlagerungen dieser Welten, etwa in Ya Nas (ab der Hälfte) oder in Progeria, wo arabischer Gesang gekonnt mit traditionellen Jazzrhythmen und -harmonien verheiratet wird.

Songtexte lagen der CD leider nicht bei: Das Album kommt in einer zwar ansprechend gestalteten, aber inhaltlich schmal gehaltenen Papphülle daher. Die Inhalte der arabischen Texte verschließen sich daher überwiegend meinem Verständnis. Aber schon die Songwriter der einzelnen Titel sprechen für sich: Zum Beispiel Marea Negra basiert auf den Versen des syrischen Poeten Ibrahim Qashoush.[6]

Mit Who's gonna get the ball from behind the wall of the garden today? vereint Bachar Mar-Khalifé gekonnt die rhythmisch überzeugenden Piano lines und elektronischen Kompositionselemente, die wir bereits von Aufgang kennen, mit arabisch-orientalischen Stilelementen, wie man sie in westlicher Pop- und Jazzmusik so gut wie nicht antrifft. Diese reizvolle Kombination verdient meiner Meinung nach eine klare Empfehlung.

  1. discogs.com/release/4440248
  2. bacharmarkhalife.com
  3. tovotu.de/blog/434-...ktronischen-Hhenflgen
  4. Der Titel kann bei Soundcloud angespielt werden.: soundcloud.com/bachar-mar-khalife-1
  5. infine-music.com/ne...ns-choses-feat.-kid-a
  6. Übersetzung und Erläuterungen online verfügbar: infine-music.com/ne...276/video-marea-negra

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