tovotu

28. Februar 2008
Schuldausschließende Pflichtenkollisionen

Du stehst alleine an einem Bahngleis. In der Ferne vernimmst Du das dunkle Grollen eines herannahenden Güterwaggons. Schnell stellst Du fest, dass das Führerhäuschen leer ist und das Gefährt seine Geschwindigkeit nicht zu verringern scheint. Ein Blick auf die Gleise verrät Dir, dass einige Meter von Dir eine Weiche ist. Auf dem rechten Gleis wurden fünf für Dich unbekannte Personen von einem irren Philosophen festgebunden. Ein ebenso unbekannter Mensch liegt auf dem anderen Gleis. Bis zur Ankunft des Zuges bleiben Dir etwa 10 Sekunden und Du bist Dir bewusst, dass sich neben Dir ein Hebel für die Weiche befindet, der das herannahende Vehikel bei Betätigung auf die einzelne Person leiten würde. Siehst Du tatenlos zu, wie die fünf Menschen überrollt werden, oder stellst Du die Weiche und setzt das Leben der einen Person gegen das Leben der fünf?

Unter dem Namen "Trolley-Problem" ist dieses Szenario ein in Philosophie und Rechtswissenschaft wohl bekanntes Dilemma. Auf whatthefreek.com wird der Besucher bei diesem und ähnlichen Situationen vor die Wahl gestellt. Der zugehörige Wikipedia-Artikel listet Erweiterungen des genannten Problems auf. In der Tat entscheidet sich die Mehrheit dafür, den Hebel umzulegen und die Personengruppe zu retten. Ändert man die Frage jedoch leicht ab, sodass man sich nun mit einem anderen dicken Mann auf einer Brücke über dem Gleis (ohne Weiche) befindet und die fünf Personen auf dem Gleis nur retten kann, indem man den fetten Mann vor den Trolley wirft, so ist jedem das Leben des einen Mannes plötzlich wichtiger als das der fünf Personen. Wieder anders: Die Weiche ist wieder da und es herrschen die selben Bedingungen wie im Anfangsproblem außer, dass es sich bei der Einzelperson um die eigene Mutter handelt. Oder wie wäre es damit: Du sitzt selber im Waggon und kannst die auf den Gleisen liegenden nur retten, indem du dich selbst in die Luft sprengst. Und wie entscheidest du, wenn ein anderer, unbeteiligter und handlungsunfähiger mit dir im Waggon ist?

Ein Blick auf den deutschen Wikipedia-Artikel verrät, dass immerhin das deutsche Strafrecht für diese Art der Situation eine Lösung gefunden hat: den "übergesetzlichen Notstand". Davon redet man, wenn es zu einer schuldausschließenden Pflichtenkollision kommt. In diesem Falle wird gewöhnlich zugunsten des Entscheidungsträgers geurteilt. Alles klar? Oder kommt nicht vielleicht doch ein mulmiges Gefühl auf beim Gedanken an diese Zwangssituationen?

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